Der Aufschub

Was ist das für ein Gefühl, aus einem sicheren Versteck heraus, seine eigene Beerdigung zu beobachten? Julien jedenfalls gefällt es gut. Denn eigentlich müsste er jetzt – wir schreiben das Jahr 1944, und Frankreich ist von deutschen Truppen besetzt – in Hitlers Fabriken für den Endsieg des 1000jährigen Reiches schuften. Er war auch schon auf dem Weg dorthin, konnte aber aus dem Zug fliehen, in dem er nach Deutschland gebracht werden sollte. Ein zweifaches Glück, weil der Zug kurze Zeit später bombardiert wurde. Wäre Julien nicht geflohen, wäre er jetzt wirklich tot. Der arme Teufel, der dort unten ins Grab gelegt wird, ist ein Dieb, der ihm im Zug die Papiere geklaut hat und dessen Leiche, wegen der Papiere, für die von Julien gehalten wurde.

Der versteckt sich bei seiner Tante in seinem Heimatdorf Cambeyrac – und wie in jedem Ort im besetzten Frankreich gibt es auch in Cambeyrac drei Arten von Menschen: Kollaborateure, die mit den Deutschen zusammenarbeiten, Widerstandskämpfer, die ihnen das Leben schwer machen, und diejenigen, die einfach nur hoffen, dass das möglichst schnell vorbei geht. Julien nimmt eine Art Beobachterstatus ein. Von seinem Versteck aus hat er einen guten Blick auf den Dorfplatz. Er kann sehen, wer wo ein und aus geht. Außerdem kann er seine Jugendliebe Cécile beobachten. Doch nach und nach wird auch er in die Ereignisse des Dorfes verstrickt.

Der Aufschub erschien erstmals 1998/99 in zwei Bänden bei Salleck – später folgten Von Dieben und Denunzianten und Mattéo – und liegt mit diesem Album als Gesamtausgabe vor. Wer die Einzelbände hat und sich fragt, ob er sich die Gesamtausgabe zulegen soll: Die Gesamtausgabe ist gebunden, lesbarer gelettert und auf besseren Papier gedruckt. Sie enthält im Anhang ein paar schöne Skizzen, dafür fehlen die Vorworte aus den Einzelbänden, in denen Gibrat die Entstehung des Albums beschreibt. Aber für welche Version man sich auch entscheidet: Wer gut erzählte Geschichten mit viel Atmosphäre in den Bildern mag wird dieses Album lieben. Und wer danach mehr Motive von Cécile sehen möchte, sollte mal in Gibrats Bildband Jeanne und Cécile reinschauen.

Jean-Pierre Gibrat: Der Aufschub
104 Seiten, 29,- Euro, gebunden, Salleck, ISBN 978-3-89908-366-8

Kommentieren?

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..