Unter den Kieseln der Strand

Drei angehende Studenten, eine gut aussehende Frau, laue Nächte am Meer und engstirnige Eltern: Im September 1963 leeren sich die Strände des malerischen Badeortes Loctudy an der französischen Atlantikküste wie jedes Jahr um diese Zeit. Nur die angehenden Studenten Albert, Francis und Édouard bleiben zurück und verlängern ihre Ferien um ein paar Wochen, bevor sie Studienplätze an den prestigereichsten Hochschulen des Landes antreten. Die Freizeit nutzen sie, um möglichst unauffällig die Weinkeller ihrer Väter zu leeren und genüsslich am Strand auszuspannen. Dort treffen sie eines Abends Odette, eine geheimnisvolle junge Frau, die ihnen spielend leicht die Köpfe verdreht. Die Gefühle von Albert, dem Armeeoffizier in spe, gehen jedoch über einen harmlosen Flirt hinaus, und um Odette die Aufrichtigkeit seiner Liebe zu beweisen, willigt er sogar ein, sich ihrer Bande von Einbrechern anzuschließen und die vornehmen Villen von Loctudy auszuräumen. Doch eine hoch angesehene Familie wie die seine entehrt man nicht, ohne die Konsequenzen zu tragen. (Verlagstext)

Pascal Rabaté ist eine Art Chamäleon unter den Comicmachern. So ziemlich jedes seiner Alben zeichnet er in einem andern Stil. Ob Bäche und Flüsse, Der Schwindler oder dieses Album – sie sehen alle sehr unterschiedlich aus. Wobei die Bilder jedes Mal gut zur Geschichte passen. In diesem Fall hat er auf überflüssige Details verzichtet, und auch mit Farben wird ziemlich gegeizt. Vorwiegend Grau- und Brauntöne bestimmen das Bild.

Passt aber prima. Die Geschichte wird relativ ruhig aufgebaut. Es scheint sich einfach um die letzten Ferien einer Gruppe verwöhnter Jugendlicher zu handeln, die vor dem Studium (und der Offizierslaufbahn) noch einmal in Ruhe feiern und relaxen wollen. Was sich umso schöner anlässt, als plötzlich Odette am Strand auftaucht. Und langsam ins Mysteriöse dreht, als die spielend die Tür zu einer Villa öffnet, deren Besitzer gerade anderweitig urlauben. Naja – und dann sind da noch die schrägen Typen, die Proudhons Satz Eigentum ist Diebstahl auf ihre eigene Art interpretieren. Eine anfangs leise erzählte Geschichte, die immer stärker Fahrt aufnimmt, überraschende Wendungen parat hat und in einem fetzigen Schluss endet.

Pscal Rabaté: Unter den Kieseln der Strand
Übersetzung von Désirée Schneider
144 Seiten, gebunden, 29,80 Euro, Splitter, ISBN 978-3-96792-289-9
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Carbon & Silizium

Die melancholische Freundschaft zweier KIs in einer (w)irren Welt: Carbon und Silizium sind revolutionäre KIs, Meisterwerke der High-Tech-Labors der Tomorrow Foundation. Als Prototypen einer völlig neuen Generation von Androiden werden sie mit dem gesamten Wissen der Menschheit gefüttert und stellen einen gigantischen Sprung in der Entwicklung künstlichen Bewusstseins dar. Indem sie experimentieren, beobachten, lernen, sich weiterentwickeln und so vielleicht echte Intelligenz erlangen, sollen sie die Probleme der dahinsiechenden Menschheit lösen. Mathieu Bablet wurde durch sein Monumentalwerk »Shangri-La« über Nacht zum Star des Science-Fiction-Comics. In seinem neuen Werk »Carbon & Silizium« betrachtet er die großen ökologischen, sozialen, politischen und ökonomischen Fragen unserer Zeit durch die Augen zweier Beobachter, die hochintelligent, aber zugleich kindlich naiv sind. Eine Graphic Novel mit einem unwiderstehlichen Sinn für Ästhetik und mit einem intensiven Interesse für das, was das Menschsein ausmacht. (Verlagstext)

Naja – die großen ökologischen, sozialen, politischen und ökonomischen Fragen unserer Zeit werden zwar gestreift, aber Tiefgang darf man nicht erwarten. Es ist mehr das selbstgemachte Elend der Menschheit, das da als Dauerschleife im Hintergrund vorüberzieht – dem wahrscheinlichen Untergang entgegen. Während der unwiderstehliche Sinn für Ästhetik und mit einem intensiven Interesse für das, was das Menschsein ausmacht, eine sehr treffende Beschreibung – und gleichzeitig die Stärke – dieses Albums ist.

Mit Bablets Shangri-La konnte ich – nicht zuletzt aufgrund der engen Zeichnungen – wenig anfangen. Hier ist es anders. Bablet lässt Landschaft und Figuren mehr Raum. Die Bilder machen mehr her. Und während Corbon mehr der sesshafte Typ ist, der auch immer wieder den Kontakt zu ihrer Schöpferin sucht (und oft verfolgt wird, denn die beiden sollen von der Tomorrow Foundation liquidiert werden), zieht Silizium lieber durch die Gegend und erkundet die Welt. Sie sind verschieden, aber aufeinander angewiesen. Sie gehen verschiedene Wege, um sich immer wieder neu zu finden.

Und wenn Carbon schließlich Silizium, nach einer wieder einmal langen Trennung, auf einem Felshügel wiederfindet, von dem aus er in das weite Tal herunterblickt, fragt, wie lange er schon da sitzt und als Antwort Siebzehn Jahre bekommt, dann fühlt man die Verlorenheit dieser beiden in einer Welt, in der sie den Menschen fremd, und die Menschen sich selbst ebenfalls fremd geworden sind. Das hat was.

Mathieu Bablet: Carbon & Silizium
Aus dem Französischen von Sophie Beese
272 Seiten, gebunden, 45,- Euro, Splitter, ISBN 978-3-96792-395-7
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Nationalfeiertag

Ein Krimi, der vordergründig cool und entspannt daherkommt, aber schnell eine ganz eigene Dynamik entfaltet: Jimmy ist Polizeianwärter in einem idyllischen französischen Gebirgsstädtchen, er ist fleißig, zielstrebig und angepasst, und er macht sich Gedanken über sein problembeladenes, verunsichertes Vaterland, vor allem über die ständigen Terroranschläge. Als der Maler Vincent mit seiner Teenie-Tochter Lisa aus Paris für die Sommerferien eintrifft, sucht Jimmy deren Nähe, den Hauch der großen Welt. Doch da unternimmt der alte Vincent eines Nachts einen mysteriösen Ausflug, und auf einmal ist Lisa verschwunden… (Verlagstext)

Bastien Vivès ist auch einer dieser vielseitigen Comiczeichner. Neben rundum gefühlvollen Alben wie In meinen Augen, Eine Schwester oder Polina hübscht er auch mal in die Jahre gekommene Serien mit seinen typisch stylischen Bildern auf (Corto Maltese) oder liefert zwischendurch schwächere Alben ab (Die Bluse). Nationalfeiertag gehört zur besseren Sorte. Die Zeichnungen sind edel wie immer, und in der Story, in der die Figuren anfangs scheinbar relativ beziehungslos nebeneinander her zu existieren scheinen, entwickeln sich nach und nach mehr Fragezeichen.

Welche Rolle spielt dieser Mann, der vorgibt, ein Maler zu sein, wirklich? Was hat seine Tochter damit zu tun? Ist sie überhaupt seine Tochter? Und was ist in dieser Kiste, die da bei Nacht und Nebel…? Aber das müsst ihr schon selber rausfinden. Gerade ein Nationalfeiertag scheint schließlich wie geschaffen dafür zu sein, einen Anschlag zu verüben. Dass man das nicht hundertprozentig verhindern kann, ist klar. Vivès bringt mit seinen immer stärker reduzierten Zeichnungen viel Ruhe auf die Seiten. Aber gerade dadurch entwickelt sich die Spannung umso intensiver.

Bastien Vivès, Martin Quenehen: Nationalfeiertag
Aus dem Französischen von Resel Rebiersch
256 SW-Seiten, gebunden, 24,80 Euro, schreiber&leser, ISBN 978-3-96582-116-3
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