Hypericum

Mal wieder ein eher kontemplatives Album von Fior: Teresas Leben folgte bislang einer geraden Linie. So erreicht sie alle Ziele scheinbar mühelos und es ist keine Überraschung, dass sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin für die große Ausstellung des Tutanchamun-Schatzes in Berlin ausgewählt wird. Ruben, einem jungen, launischen, italienischen Künstler, fehlt es hingegen an Geradlinigkeit. Für ihn ist das Berlin der späten 1990er Jahre eine riesige Spielwiese... Die intime Liebesgeschichte von Ruben und Teresa wird parallel mit der Geschichte Howard Carters erzählt, dem Entdecker des Grabes von Tutanchamun, und entfaltet sich zwischen dem Tal der Könige und dem rasanten Leben im Berlin der Nachwendezeit. (Verlagstext)

Nachdem er mit Celestia ein zwar stark gezeichnetes, aber inhaltlich schwaches Album abgeliefert hat, macht es richtig Freude, Hypericum zu lesen. Hypericum ist eine Pflanze aus der Familie der Johanniskrautgewächse. In diesem Fall dient sie Teresa als Hilfsmittel, um einmal durchschlafen zu können, denn sie leidet unter Schlaflosigkeit. Was aufgrund permanenter Übermüdung auch mal dazu führen kann, dass sie ätzend schlechte Laune hat.

Normalerweise ist sie ausgeglichen, denn sie lebt nach festen Regeln. Die Dynamik bringt Ruben in die Geschichte, indem er einfach so drauflos wuselt und die Dinge locker nimmt. Es ist nichts Spektakuläres, was passiert. Zwei Menschen lernen sich kennen und lieben und müssen sich erst mal zusammenraufen. Die Tutanchamun-Story läuft mehr im Hintergrund (und 70 Jahre früher) und gibt der Geschichte einen spannenden Rahmen. Und die Bilder? Schon seine Wüstenlandschaften auf den ersten Seiten sind ein Traum, und Ruben und Teresa (vor allem Teresa) sind auch klasse. Atmosphärisch in etwa mit seinem Fünftausend Kilometer in der Sekunde vergleichbar (oder den Alben von Bastien Vivès).

Manuele Fior: Hypericum
Aus dem Italienischen von Myriam Alfano
144 Seiten, gebunden, 29,- Euro, avant, ISBN: 978-3-96445-093-7
> Leseprobe

Alice Guy

Alice Guy (1873–1968) war die erste Filmregisseurin der Welt, ebenso die erste Produzentin und Drehbuchautorin. Sie inszenierte und produzierte an die 500 Filme, agierte in einigen frühen davon auch in Nebenrollen. Bis 1907 war sie Produktionsleiterin der französischen Firma Gaumont, die von 1905 bis 1915 das größte Studio der Welt besaß. 1910 gründete sie in New York die Solax, ihr eigenes Studio, in dem mehr als 300 Filme aller Couleur inszeniert wurden. 1896 drehte Alice Guy mit »La Fée aux Choux« den vermutlich ersten Spielfilm der Filmgeschichte. 1906 realisierte sie die Großproduktion »La Vie du Christ« mit über dreihundert Statisten. Zwischen 1900 und 1906 inszenierte sie ca. 100 Phonoszenen und erwies sich damit überdies als Pionierin des Tonfilms. Sie gehörte zu den ersten, die mit Tricktechnik experimentierten, verwendete Split-Screens, Zeitraffer und Zeitlupe, Stopptrick, Doppelbelichtung und Rückwärtsbewegungen. Trotzdem wird Alice Guys Œuvre noch Jahrzehnte nach ihrem Tod von der Filmgeschichtsschreibung unterschlagen oder ihren männlichen Mitarbeitern zugeschrieben. (Verlagstext)

Genau das soll sich durch diesen 400seitigen Comic ändern. Catel und Bocquet rekonstruieren die Geschichte dieser eigenwilligen Frau, die in Chile aufwuchs, in der Schweiz ausgebildet wurde, in Frankreich den Bildern das Laufen beibrachte und in den USA schließlich ein eigenes Filmstudio gründete, sehr genau. Dabei reihen sie die Stationen ihres abwechslungsreichen Lebens chronologisch aneinander, ohne allzu sehr in die Tiefe zu gehen.

Interessant ist vor allem der Mittelteil des Albums. Bislang gibt es nur Fotografie, aber Ende des 19. Jahrhunderts werden nach und nach die ersten Techniken entwickelt, um Bewegung auf die Leinwand zu bringen. Vom simplen Lebensrad (eine Art Daumenkino in groß), über den Chronofotografen und das Kinetoskop bis hin zum Kinematographen werden die Möglichkeiten von Filmentwicklung und Vorführung immer professioneller. Und natürlich gibt es Konkurrenz zwischen den Firmen, die an der Entwicklung beteiligt sind. Alice Guy, die bei Gaumont als Sekretärin anfängt und aufgrund ihrer Ideen eine für eine Frau der damaligen Zeit erstaunliche Gestaltungsfreiheit von der Firmenleitung bekommt, experimentiert mit der Technik und weiß damit mehr anzufangen, als die Konkurrenz.

Der Informationsgehalt dieses Albums ist hoch – nicht zuletzt durch die angefügte 16seitige Chronologie von Guys Leben, in die die historische Entwicklung des Kinos geschickt eingeflochten wird. 50 Seiten mit Kurzbiografien der in dem Album auftretenden Personen von Auguste und Louis Lumière über Gustave Eiffel bis hin zu Buster Keatin und Charles Chaplin runden es ab.

Konzeptionell ist es damit mehr ein Comic für Kino-Enthusiasten als für Comicfans geworden. Als Biografie kommt die Geschichte ziemlich hölzern daher – kein Vergleich zu der atmosphärischen Dichte von Bänden wie Anaïs Nin, Stockhausen oder Mademoiselle Baudelaire. Wer allerdings die Entwicklung der Filmtechnik mal kompakt auf 400 Seiten präsentiert bekommen und sich über den Anteil, den Alice Guy daran hatte, informieren möchte, findet hier jede Menge Lesefutter.

Catel, José-Louis Bocquet: Alice Guy
Aus dem Französischen von Antje Riley
400 SW-Seiten, gebunden, 45,- Euro, Splitter, ISBN 978-3-98721-029-7
> Leseprobe

Unter rotem Staub

Als ein Aborigine-Freund in Polizeigewahrsam verstirbt, begibt sich Jan Bauer auf die Suche nach den Hintergründen und stößt auf verblüffende Zusammenhänge. Je tiefer er in die Vergangenheit eintaucht und je besser er die Kultur der Warlpiri versteht, um so deutlicher erschließt sich ihm eine Geschichte von Unterdrückung und Gewalt, die von den Tagen der Jäger und Sammler bis in die Gegenwart reicht und weit darüber hinaus, in die zeitlose Dimension der Mythen der Traumzeit. Über einen Zeitraum von zehn Jahren hat der Autor immer wieder die Wüstensiedlung Yuendumu besucht und dabei neben spannenden Einsichten auch viele Freundschaften gewonnen. Er entdeckt eine herzliche und zugleich befremdliche Welt, die viele seiner Ansichten auf die Probe stellt und ihm gleichzeitig den Blick öffnet für ein Miteinander jenseits der geistigen Schranken seiner eigenen Kultur. (Verlagstext)

Das Album von Jan Bauer gibt in der Tat einen interessanten und informativen Einblick in die Lebensbedingungen dieser Menschen, die auch heute noch weniger Rechte haben als weiße Australier. Dabei hält Bauer keine akademischen Vorträge. In die Episoden, in denen er von verschiedenen Begegnungen berichtet, flechtet er wie nebenbei kulturelle und historische Hintergründe ein.

Die Lebensweise der Aborigines unterscheidet sich von unserer in vielen Punkten. Jeder ist irgendwie mit jedem verwandt. Das wiederum bestimmt die Sozialstruktur der Community. So ist man beispielsweise angehalten, Familienmitglieder zu unterstützen, wenn sie in Not sind. Bauer erzählt von einem kleinen Supermarkt, der nur deshalb funktioniert, weil der Inhaber kein Aborigine ist. Wäre er einer, müsste er seinen Familienmitgliedern alles umsonst geben, wenn sie ihn darum bäten. Und er hat viele Familienmitglieder.

Auch auf die Reise zu den mystischen Traumpfaden nimmt Bauer seine Leser mit. An so ziemlich jeder Ecke des Landes ist Magie gegenwärtig. Auf der anderen Seite schildert Bauer die pragmatische Herangehensweise der Warlpiri, wenn sie mitten im Nichts mit Autoschaden liegenbleiben. So bietet das Album Abwechslung, wird an keiner Stelle langweilig und liest sich auch für diejenigen prima, die weniger an Kultur und Politik, sondern einfach an einer guten Geschichte interessiert sind. Von der Erzählstruktur her vergleichbar mit den Comics von Guy Delisle oder Joe Sacco.

Jan Bauer: Unter rotem Staub
256 Seiten, 26,- Euro, avant, ISBN: 978-3-96445-085-2
> Leseprobe