Ein Vertrag mit Gott

Endlich! Nachdem der Erscheinungstermin Vierteljahr für Vierteljahr verschoben wurde, liegt jetzt endlich der erste Band der Eisner-Bibliothek von Carlsen vor. Der 1917 geborene und 2005 verstorbene Zeichner war einer der kreativsten und innovativsten überhaupt. Nachdem er schon mit seiner Spirit-Serie Maßstäbe gesetzt hatte, an denen sich bis heute Comiczeichner und selbst Filmemacher wie Regisseur William Friedkin orientieren, begann er 1978 mit der Arbeit an seinem Album Ein Vertrag mit Gott. Er wollte damit nicht nur inhaltlich, sondern auch formal etwas Neues schaffen und nannte das Ergebnis, das die klassische Panelstruktur der Comics sprengte, Graphic Novel. Damit war nicht nur ein neuer Begriff, sondern auch ein neues Genre geboren.

Der vorliegende Band enthält die Alben Ein Vertrag mit Gott (in unveränderter Form und der Übersetzung von Carl Weissner, in der es bereits 1980 bei 2001 erschienen ist), Lebenskraft (erschien 1988 unter dem Titel Lifeforce bei Feest) und Dropsie Avenue (1995 bei Feest) – die letzten zwei in neuer Übersetzung. Allen ist gemeinsam, dass die Geschichten meist in einem Mietshaus in der Bronx der 1930er Jahren spielen.

Eisner, der selbst lange Jahre in der Bronx gelebt hat, ist dabei der Chronist des kleinen Mannes. Er erzählt Geschichten aus dem Alltag, wie sie auch Fallada oder Dickens erzählt haben: Über Jobs, Arbeitslosigkeit, Liebe, Heirat, Ehekrach, krumme Geschäfte, Überleben in der Wirtschaftskrise, Stress durch enges Zusammenleben, Urlaubsträume und vieles mehr. Vieles ist autobiografisch.

In Dropsie Avenue macht er einen ganzen Stadtteil lebendig. Er erzählt die Entstehung der South Bronx, von den ersten kleinen Häusern, die 1870 an den Kreuzungen zwischen Äckern und Gärten entstanden und meist von Holländern bewohnt waren, von den villenähnlichen Gebäuden, die wegen der guten Lage von reichen Engländern dazu gebaut wurden, über die ersten Mietkasernen, die vor allem von italienischen Einwanderern bevölkert waren bis hin zu dem durch Wohnungsspekulanten organisierten Verfall des Stadtteils. Er erzählt von den Konflikten zwischen Ethnien, Rassen und Religionen, von mafiösen Strukturen in der Wirtschaft und korrupten Politikern in der Stadtverwaltung. Absolut genial, wie er auf diese Weise den Wandel eines ganzen Viertels über fast 100 Jahre dokumentiert und dabei immer die Lebensbedingungen der Bewohner in den Mittelpunkt stellt. Gar nicht zu reden von den Zeichnungen, die von Album zu Album besser werden und in Dropsie Avenue das, was in Ein Vertrag mit Gott noch etwas zögernd und unsicher begann, zu wahrer Meisterschaft wird.

Es wurde Zeit, dass das Werk von Eisner in einer vernünftig editierten Ausgabe erscheint. Carlsen will sie in drei Bänden als Will Eisner-Bibliothek publizieren. Die Frage, ob man sich die Alben zulegen soll, wenn man die früher erschienen Ausgaben schon hat, muss jeder selber entscheiden. Wer die Alben noch nicht hat, hat hier Gelegenheit, die Arbeit eines Ausnahmekünstlers kennenzulernen, dessen Werk zweifelsfrei zum Besten gehören, was das Medium Comic zu bieten hat.

Update 25.1.17: Carlsen hat den Band jetzt auch als preiswertes Paperback für 19,99 Euro aufgelegt.

Will Eisner: Ein Vertrag mit Gott (Mietshausgeschichten)
528 Seiten, gebunden, 36,- Euro, Carlsen, ISBN 978-3-551-75044-0

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