Weiß wie der Mond

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Abenteuercomics gibt es wie Sand am Meer. Geboten werden in der Regel mehr oder weniger erfundene Geschichten, von denen sich manche ganz nett zu lesen, die meisten aber weit jenseits aller Logik angesiedelt sind. Dann gibt es Leute, die Abenteuer bei Veranstaltungen wie der Rallye Paris / Dakar suchen – und sich heldenhaft vorkommen, wenn sie mit ihren Karren durch die Wüste brettern. Dabei hat das weder mit Abenteuer noch mit Helden zu tun, denn im Falle eines Unfalls ist der Rettungshubschrauber in Minuten zur Stelle.

Der Raid ist da eine andere Nummer. Raid heißt der Versorgungskonvoi, der 1200 Kilometer weit – das ist ungefähr die Strecke von Flensburg bis Mailand – bei bis zu 50 Grad Minus durch die Antarktis fährt, um Forschungseinrichtungen auf dem sechsten Kontinent mit Nachschub zu versorgen. Mit zehn bis zwölf km/h Durchschnittsgeschwindigkeit kämpfen sich die Kettenfahrzeuge durch Eis und Schnee, knapp zwei Wochen lang, zwölf Stunden pro Tag, lediglich zwei- bis dreimal im Jahr. Wenn etwas schief geht, hat man ein Problem: Im Umkreis von 600 Kilometern gibt es kein menschliches Wesen – nicht mal mehr einen Pinguin.

Der Zeichner Emmanuel Lepage hat bereits in seinem traumhaften Album Reise zum Kerguelen-Archipel eine Fahrt auf einem Versorgungsschiff beschrieben.  Damals kam er bis zu den vorgelagerten Inseln der Antarktis. Jetzt will er den Kontinent selber betreten und eines der Raid-Fahrzeuge steuern. Dazu muss er zunächst mit einem Schiff durch das Packeis bis zum Stützpunkt – wobei die Gefahr besteht, dass sie sich festfahren, einfrieren und im Packeis überwintern müssen.

Diesmal hat Lepage seinen Bruder mitgenommen. Der ist Fotograf und genauso verrückt nach dem eisigen Kontinent. Ihre Erlebnisse haben sie in einem Album festgehalten, in dem sie Emmanueles Zeichnungen mit François´ Fotos anreichern – mit dem interessanten Ergebnis, dass man manchmal überlegt, was Zeichnung, und was Fotografie ist.

Aber natürlich geht es nicht nur um ihre persönlichen Erfahrungen. Sie haben die Reise auf Einladung des französischen Polarinsituts gemacht, und so wird auch die Arbeit der Wissenschaftler vorgestellt – ebenso wie die Geschichte der ersten Expeditionen zum Südpol vor rund 200 Jahren. Wie schon die Reise zum Kerguelen-Archipel ein Album, das nicht nur spannend und informativ geschrieben und wunderschön bebildert ist, sondern auch die Lust weckt, sofort die Koffer zu packen. Lepages Reiseberichte gehören zum Schönsten, was das Medium Graphic Novel zu bieten hat.

Top 10 2015

François und Emmanuel Lepage: Weiß wie der Mond
256 Seiten, gebunden, 39,80 Euro, Splitter, ISBN 978-3-95839-146-8
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