Ich bin ihr Schweigen

Ein schräger, humorvoller Krimi: Eine psychiatrische Behandlung kann auslaugend, aber auch sehr heilsam sein. Eva Rojas weiß das besser als die meisten, denn sie ist selbst eine brillante Psychiaterin, die nur dummerweise ihre Zulassung verloren hat. Um diese zurückzuerlangen, muss sie – ausgerechnet – zum Psychiater. Wieso das? Einige Tage zuvor: Eva begleitet ihre Patientin Penelope zu einer großen Familienfeier mit Testamentseröffnung. Wie erwartet erweist sich die Angelegenheit als äußerst anstrengend, aber nicht nur für Penelope, denn Eva erkennt schnell das komplizierte Netz aus Unwahrheiten, in das das uralte Weingut der Familie Monturós verwickelt ist. Menschenkenntnis ist schließlich ihr Beruf. Doch dann geschieht ein Mord. Im Versuch, die Verstrickungen der Familienmitglieder zu durchdringen, verheddert Eva sich unweigerlich selbst. (Verlagstext)

In die Figuren des Spaniers Jordi Lafebre kann man sich verlieben. Das war schon in Lydie und Trotz allem… Liebe so, die beide in der Top 10 von Comickunst standen – und das ist mit Eva, der Hauptperson dieses Albums, nicht anders. Sie ist unglaublich cool (ohne dabei arrogant oder blasiert rüberzukommen). Sie macht einfach ihr Ding und kümmert sich nicht darum, was ihr Gegenüber davon hält. Und sie weiß sich zu wehren: Ich habe drei Sekunden lang Rasierschaum in deinen Mund gesprüht, erklärt sie dem vor ihr auf dem Boden röchelnden Fiesling, der sie gerade vergewaltigen wollte. Das reicht, um sieben Zentimeter deiner Luftröhre zu füllen und die Luftzufuhr zu blockieren. Du erstickst gerade. Ja, Mangel an trockenem Humor kann man ihr nicht nachsagen.

Die Story an sich macht weniger her. Konventioneller Krimikram mit den üblichen Verwicklungen. Aber wie Eva sich da durch laviert, das ist beste Unterhaltung. Ihr zur Seite (genauer gesagt: in ihrem Kopf) hat sie ihre drei Stimmen – Großmutter, Tante und eine Partisanin (alle drei lange verstorben), von denen ihr vor allem die Großmutter immer wieder ungefragt Tipps einflüstert. Auch die Dialoge mit ihrem – real existierenden – Psychiater sind allerliebst. Ein Album, das garantiert die Stimmung hebt.

Jordi Lafebre: Ich bin ihr Schweigen – Ein Barcelona-Krimi
Aus dem Französischen von Hanna Reininger
112 Seiten, gebunden, 25,- Euro, Splitter, ISBN 978-3-98721-393-9
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Der Glöckner von Notre-Dame

Der Autor dieser Geschichte ist der emblematischste aller französischen Schriftsteller, Humanist und Politiker, Realist und Exilant: Victor Hugo war ein facettenreicher Mann und »Der Glöckner von Notre-Dame« ist sein wohl vielseitigstes Werk. Das Epos wirft uns mitten hinein ins Paris des Jahres 1482, in den zügellosen Trubel der Dreikönigsfeier rund um die Kathedrale Notre-Dame de Paris, wo ein bunter Strauß von Figuren das Werden und Vergehen des Mittelalters illustriert. Der junge Dichter Gringoire, der Diakon Frollo, die schöne Esmeralda und natürlich der bucklige Quasimodo begegnen dort einander und uns. Hugo erzählt von Liebe und Hass, von Neid, Heldentum, Intrige und Opfermut – kurzum, von allem, was menschlich ist. (Verlagstext)

Mit diesem Album macht sich Splitter ein bisschen selber Konkurrenz. Eine Adaption des Glöckners haben sie nämlich schon im Programm – in zwei Bänden zwar ein bisschen kitschig, aber wunderhübsch vierfarbig von Jean Bastide gezeichnet. Der kitschige Ton des Zweiteilers passt durchaus zur Geschichte, denn Hugo war wie Dickens und andere kritische Schriftsteller des 19. Jahrhunderts vor allem Moralist, der die Probleme der Zeit hauptsächlich im schlechten Charakter der Herrschenden, und nicht in der Herrschaftsstruktur an sich sah.

Georges Bess dagegen interessiert sich, wie schon in seinen Dracula– und Frankenstein-Adaptionen, weniger für die Moral, als für die Absonderlichkeit seiner Figuren. Schräge Gestalten, kranke Gehirne, tragische Schicksale, das ist seine Welt, und die kann er gut. Da passen miese Charaktere wie Claude Frollo und verkrüppelte Schreckgestalten wie Quasimodo prima rein. Seine Schwarzweiß-Zeichnungen betonen wie immer mehr die düstere Seite der Geschichte (manche Bilder erinnern an Illustrationen von Gustave Doré), aber auch der Herzschmerz kommt nicht zu kurz. Wer Georges Bess mag, wird dieses Album lieben. Wer Hugo mag, auch. Und wer die Geschichte nur aus dem Kino kennt, findet hier mehr Spannung und Realismus als in manch seichter Verfilmung.

Georges und Pia Bess, Victor Hugo: Der Glöckner von Notre-Dame
Aus dem Französischen von Harald Sachse
208 SW-Seiten, gebunden, 39,80 Euro, Splitter, ISBN 978-3-98721-400-4
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Die Nächte des Saturn

Ein außergewöhnlicher Krimi. Sie hätten sich nie begegnen dürfen: Clovis kommt gerade aus dem Knast und hat nichts als Rache im Sinn, Cesaria ist eine blutjunge Transfrau, Stricherin und ziemlich aufgeschmissen. Sie verlieben sich, obwohl Clovis alles, was nach schwul aussieht, zuwider ist. Trotzdem nimmt er Cesaria mit auf seinen Rachefeldzug, den sie wiederum verabscheut und ihm ausreden will. Die aussichtslose Leidenschaft kann nur in der Katastrophe enden. (Verlagstext)

Krimis gibt es bei schreiber&leser jede Menge. Die meisten sind ganz okay, bedienen aber die bekannten Muster. Dieses Album (eine Adaption des Romans von Marcus Malte) ist anders. Er ist anders, weil man erstens zu keiner Sekunde weiß, wie es weitergeht, was als nächstes passieren wird, und wie die Figuren auf die neue Situation reagieren. Hier ist der beste Plan nach wenigen Augenblicken Makulatur – und weil es keinen Plan B gibt, kommt dann nur noch Improvisation infrage. Was nicht selten zu Komplikationen führt. An Spannung mangelt es da nicht.

Zweitens ist er anders, weil die Zeichnungen einfach überragend sind – wenn man Aquarellbilder mag. Wie Pierre-Henry Gomont mit Farben umgeht, wie er Vorder- und Hintergründe ausleuchtet, wie er Persönlichkeit in die Gesichter packt, wie er Seiten koloriert, das ist einfach vom Feinsten. Außerdem schafft er es, verschiedene Zeitebenen so zu strukturieren, dass man nie den Faden verliert, wenn er sich darin hin und her bewegt. Eine starke Mischung aus schräger Lovestory und Film Noir, die garantiert anders ausgeht, als man erwartet. Und um Längen packender als seine, ebenfalls bei s&l erschienene Reihe Die neuen Russen.

Pierre-Henry Gomont, Marcus Malte: Die Nächte des Saturn
Aus dem Französischen von Resel Rebiersch
160 Seiten, gebunden, 27,80 Euro, schreiber&leser, ISBN 978-3-96582-167-5
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