Alice Guy

Alice Guy (1873–1968) war die erste Filmregisseurin der Welt, ebenso die erste Produzentin und Drehbuchautorin. Sie inszenierte und produzierte an die 500 Filme, agierte in einigen frühen davon auch in Nebenrollen. Bis 1907 war sie Produktionsleiterin der französischen Firma Gaumont, die von 1905 bis 1915 das größte Studio der Welt besaß. 1910 gründete sie in New York die Solax, ihr eigenes Studio, in dem mehr als 300 Filme aller Couleur inszeniert wurden. 1896 drehte Alice Guy mit »La Fée aux Choux« den vermutlich ersten Spielfilm der Filmgeschichte. 1906 realisierte sie die Großproduktion »La Vie du Christ« mit über dreihundert Statisten. Zwischen 1900 und 1906 inszenierte sie ca. 100 Phonoszenen und erwies sich damit überdies als Pionierin des Tonfilms. Sie gehörte zu den ersten, die mit Tricktechnik experimentierten, verwendete Split-Screens, Zeitraffer und Zeitlupe, Stopptrick, Doppelbelichtung und Rückwärtsbewegungen. Trotzdem wird Alice Guys Œuvre noch Jahrzehnte nach ihrem Tod von der Filmgeschichtsschreibung unterschlagen oder ihren männlichen Mitarbeitern zugeschrieben. (Verlagstext)

Genau das soll sich durch diesen 400seitigen Comic ändern. Catel und Bocquet rekonstruieren die Geschichte dieser eigenwilligen Frau, die in Chile aufwuchs, in der Schweiz ausgebildet wurde, in Frankreich den Bildern das Laufen beibrachte und in den USA schließlich ein eigenes Filmstudio gründete, sehr genau. Dabei reihen sie die Stationen ihres abwechslungsreichen Lebens chronologisch aneinander, ohne allzu sehr in die Tiefe zu gehen.

Interessant ist vor allem der Mittelteil des Albums. Bislang gibt es nur Fotografie, aber Ende des 19. Jahrhunderts werden nach und nach die ersten Techniken entwickelt, um Bewegung auf die Leinwand zu bringen. Vom simplen Lebensrad (eine Art Daumenkino in groß), über den Chronofotografen und das Kinetoskop bis hin zum Kinematographen werden die Möglichkeiten von Filmentwicklung und Vorführung immer professioneller. Und natürlich gibt es Konkurrenz zwischen den Firmen, die an der Entwicklung beteiligt sind. Alice Guy, die bei Gaumont als Sekretärin anfängt und aufgrund ihrer Ideen eine für eine Frau der damaligen Zeit erstaunliche Gestaltungsfreiheit von der Firmenleitung bekommt, experimentiert mit der Technik und weiß damit mehr anzufangen, als die Konkurrenz.

Der Informationsgehalt dieses Albums ist hoch – nicht zuletzt durch die angefügte 16seitige Chronologie von Guys Leben, in die die historische Entwicklung des Kinos geschickt eingeflochten wird. 50 Seiten mit Kurzbiografien der in dem Album auftretenden Personen von Auguste und Louis Lumière über Gustave Eiffel bis hin zu Buster Keatin und Charles Chaplin runden es ab.

Konzeptionell ist es damit mehr ein Comic für Kino-Enthusiasten als für Comicfans geworden. Als Biografie kommt die Geschichte ziemlich hölzern daher – kein Vergleich zu der atmosphärischen Dichte von Bänden wie Anaïs Nin, Stockhausen oder Mademoiselle Baudelaire. Wer allerdings die Entwicklung der Filmtechnik mal kompakt auf 400 Seiten präsentiert bekommen und sich über den Anteil, den Alice Guy daran hatte, informieren möchte, findet hier jede Menge Lesefutter.

Catel, José-Louis Bocquet: Alice Guy
Aus dem Französischen von Antje Riley
400 SW-Seiten, gebunden, 45,- Euro, Splitter, ISBN 978-3-98721-029-7
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