
Für alle Fans von Horror-Comics hat Alexander Braun die historische Entwicklung dieses Genres recherchiert: Horror-Comics gibt es seit den frühen 1950er-Jahren. Sofort wurden sie von konservativen Kräften der amerikanischen Gesellschaft der McCarthy-Ära angefeindet, was 1954 zur Verabschiedung eines Selbstzensur-Codes der Industrie führte. Zensur ist eigentlich ein No-Go für westliche Demokratien, aber Horror-Comics – insbesondere die des EC-Verlags – waren zu subversiv, zu gesellschaftskritisch und zu autonom im Sinne einer unerwünschten Jugendkultur. Ab den späten 1960er-Jahren setzte schließlich eine Liberalisierung ein und Horror wurde zu einer festen Größe der Pop- und Comic-Kultur. Vampire, Werwölfe, Frankensteins Monster: sie alle wurden jetzt auch als Comic adaptiert. Dazu Geister und Dämonen, Okkultismus und Zombies, sowie Manga-Gore aus Japan. Diese Publikation präsentiert 70 Jahre Horror-Comics, vorgestellt durch seltene Dokumente und Meisterwerke von Graham Ingels, Jack Davis, Bernie Wrightson, Richard Corben, Mike Mignola, Hideshi Hino, Shintaro Kago u.v.m. – darüber hinaus liefert Alexander Braun ganz nebenbei auch einen spannenden Ritt durch Gesellschafts- und Kulturgeschichte. (Verlagstext)
Und exakt dieser Ritt durch die Gesellschafts- und Kulturgeschichte ist es, der diesen Wälzer so interessant macht. Was Alexander Braun, der u.a. in Will Eisner – Graphic Novel Godfather einen Überblick über die künstlerische Entwicklung von Eisner gegeben, Comic-Ausstellungen kuratiert hat und selbst zweifacher Eisner-Preisträger ist, hier an Informationen zusammengetragen (und in Zusammenhang gestellt) hat, ist unglaublich. Das muss eine Heidenarbeit gewesen sein. Und liest sich nicht nur informativ, sondern auch spannend.
Braun entwickelt die Entstehung der Horror-Comics aus den gesellschaftlichen Prozessen der jeweiligen Zeit. Die Verbote durch Politik und Gerichte erfolgten mit der Begründung, Gewaltdarstellungen würden die Leser selbst zu Gewalt anregen. Man kennt das in Bezug auf Filme, Computerspiele und neuerdings auch in Bezug auf Postings im Internet. Ernsthafte Untersuchungen, die diese These belegen, so Braun, gibt es allerdings nicht. Die Darstellung von Grausamkeiten jeder Art ist ohnehin bereits lange vor den Comics Teil des europäischen Kulturguts geworden – man denke an den Werwolf von Lucas Cranach d. Ä. (1512), Goyas Desastres de la guerra (1810) oder Rembrandts Anatomie des Dr. Tulp (1632). Braun analysiert dabei nicht nur die Malerei, sondern auch Romane und Filme, die das Genre geprägt haben (Die Nacht der lebenden Toten, etc.) und beschreibt so Kultur, die sich gegenseitig beeinflusst.
Wer also mehr über Horror-Comics, über ihre Entstehung, die Zeichner, die Verlage und das gesellschaftspolitische und ökonomische Umfeld wissen möchte, in dem und aus dem heraus sie entstanden sind, bekommt hier ein Werk geliefert, das in Umfang und Tiefe mit nichts vergleichbar ist. Das Album ist Begleitband der gleichnamigen Ausstellung im Dortmunder schauraum, die dort noch bis zum 14. August zu sehen ist.
Alexander Braun: Horror im Comic
456 Seiten, gebunden, 49,- Euro, avant, 978-3-96445-067-8
> Leseprobe
Klingt ja wirklich interessant.