Comicverführer

Ein wilder Ritt durch die Höhen (und gelegentlich auch Tiefen) der Neunten Kunst: Comics sind ein Universum für sich. Ein Universum, in dem fantastische Geschichten wahr werden, in dem Zeitreisen möglich sind, in dem geheimnisvolle Erotik und große Kunst uns die Welt vergessen lassen. Die einen von uns reisen durch diese Unendlichkeit, seit sie denken können, während andere den Raumanzug an den Nagel gehängt haben… Mit dem »Comicverführer« nimmt Bestsellerautor Timur Vermes uns mit in sein ganz persönliches Comicuniversum. Er erzählt, was ihn an dem Genre so fasziniert, und gibt Empfehlungen... Geistreich, pointiert, launig und mit sehr viel Witz. (Verlagstext)

Gelegentlich klagen Leser von Comickunst darüber, dass dieser Blog zwar wunderbare Anregungen gebe, in der Konsequenz aber auch tiefer Löcher in ihre Finanzen reiße. Denn Comics sind nicht billig. Deshalb eine Warnung vorab: Das Lesen dieses Buches macht es nicht besser. Zwar sind die meisten Alben, die Vermes darin empfiehlt, bereits auf Comickunst besprochen worden. Aber er hat immer noch den ein oder anderen Tipp in petto, und er versteht es, Neugier zu wecken.

Denn das ist einer der dicken Pluspunkte dieses Comicverführers: Vermes kann schreiben. Bis auf gelegentliche Ausnahmen, bei denen man das Gefühl hat, er ist froh, das Kapitel endlich hinter sich zu haben, lies sich dieser Band von vorne bis hinten flüssig und spritzig runter. Er gliedert ihn nach Themen (Krimi, Superhelden, Erotik, Horror, Kinder, Klassiker, Western, Reportagen, Politik…), streut hier und da wie nebenbei die historische Entwicklung des jeweiligen Genres ein, erklärt Fachbegriffe, ohne als Oberlehrer rüberzukommen, und macht auf diese Weise wirklich Laune, sich jetzt aber mal so richtig für die Welt der bunten Bilder zu ruinieren.

Wobei dieses Buch eigentlich nicht für Comic-Kenner, sondern für Comic-Neulinge geschrieben wurde. Ihr müsst es also nicht kaufen. Aber ihr könnt es verschenken. An all diejenigen, die schon immer mal wissen wollten, was denn an dem Kram, der die Menschheit angeblich nur vom Lesen guter Bücher abhält, so interessant ist. Vor allem aber an diejenigen, die nach Micky Maus den Sprung von den Kinder- zu den Erwachsenencomics verpasst haben.

Timur Vermes: Comicverführer
272 Seiten, 25,- Euro, E-Book 17,99 Euro, HarperCollins, ISBN 9783365000588
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Deutsche Comicforschung 2023

Woran merkt man, dass ein Jahr zu Ende geht? Daran, dass ein neuer Band der Comicforschung im Laden liegt. Der neunzehnte inzwischen, und man fragt sich, wo die Autoren all das Material herbekommen, um Jahr für Jahr so viele dicke Bände mit interessanten Beiträgen über deutsche Comics vollzuschreiben. Wo doch Comics hierzulande in der allgemeinen Wahrnehmung erst mit Wilhelm Busch anfangen. Dann kam laaage gar nichts – und dann ging es mit Gerhard Seyfried und Ralf König weiter. In Wirklichkeit gab es aber immer Menschen, die zur Feder griffen, um Geschichten, Karikaturen, Werbehefte, Propagandamaterial, religiöse Traktate und vieles andere mit Bildern anzureichern, um ihr Thema auch optisch rüberzubringen.

Im Vorwort berichtet Herausgeber Eckart Sackmann über die Probleme, solcherlei Material überhaupt erst mal ausfindig zu machen. Es liegt ja nicht alles in übersichtlich geordneten Sammlungen zur Einsicht bereit. Und wenn man einen seltenen Fund gemacht hat, müssen die Details oft in Archiven recherchiert werden. Dabei gibt es Regularien, die eingehalten werden müssen, will man zu solchen Archiven Zutritt bekommen. In Oberösterreich scheinen sie besonders streng zu sein. Da ein Comicverlag keine anerkannte wissenschaftliche Einrichtung ist, wurde Siegmund Riedel der Zugang für eine Recherche über den Zeichner Walter Hofmann verwehrt.

Insgesamt bietet dieser Band elf Beiträge – unter anderem über die Werbestrategie des Kaufhauses C&A, über den Zeichner Jan P. Schniebel und seinen roten Fuchs, Hintergründe über den seltsamen Hitler-Comic von Matthias Schultheiss aus dem Jahr 1978, über die ungewöhnlichen Bilderrollen von Gisela Arnim und Hermann Grimm aus der Zeit um 1845 und – mit am interessantesten – über die Anfangsjahre des Comicmagazins ZACK. Mit rund 400 farbigen Abbildungen in prima Qualität.

Eckart Sackmann (Hg.): Deutsche Comicforschung Band 19 (2023)
Autoren: Gerd Lettkemann, Thomas Plock, Tomas Prokupek, Siegmund Riedel, Dr. Eckart Sackmann, Guido Weißhahn, Prof. Dr. Friedrich Weltzien
144 Seiten, gebunden, 49,- Euro, comicplus+, ISBN 978-3-89474-325-3

Horror im Comic

Für alle Fans von Horror-Comics hat Alexander Braun die historische Entwicklung dieses Genres recherchiert: Horror-Comics gibt es seit den frühen 1950er-Jahren. Sofort wurden sie von konservativen Kräften der amerikanischen Gesellschaft der McCarthy-Ära angefeindet, was 1954 zur Verabschiedung eines Selbstzensur-Codes der Industrie führte. Zensur ist eigentlich ein No-Go für westliche Demokratien, aber Horror-Comics – insbesondere die des EC-Verlags – waren zu subversiv, zu gesellschaftskritisch und zu autonom im Sinne einer unerwünschten Jugendkultur. Ab den späten 1960er-Jahren setzte schließlich eine Liberalisierung ein und Horror wurde zu einer festen Größe der Pop- und Comic-Kultur. Vampire, Werwölfe, Frankensteins Monster: sie alle wurden jetzt auch als Comic adaptiert. Dazu Geister und Dämonen, Okkultismus und Zombies, sowie Manga-Gore aus Japan. Diese Publikation präsentiert 70 Jahre Horror-Comics, vorgestellt durch seltene Dokumente und Meisterwerke von Graham Ingels, Jack Davis, Bernie Wrightson, Richard Corben, Mike Mignola, Hideshi Hino, Shintaro Kago u.v.m. – darüber hinaus liefert Alexander Braun ganz nebenbei auch einen spannenden Ritt durch Gesellschafts- und Kulturgeschichte. (Verlagstext)

Und exakt dieser Ritt durch die Gesellschafts- und Kulturgeschichte ist es, der diesen Wälzer so interessant macht. Was Alexander Braun, der u.a. in Will Eisner – Graphic Novel Godfather einen Überblick über die künstlerische Entwicklung von Eisner gegeben, Comic-Ausstellungen kuratiert hat und selbst zweifacher Eisner-Preisträger ist, hier an Informationen zusammengetragen (und in Zusammenhang gestellt) hat, ist unglaublich. Das muss eine Heidenarbeit gewesen sein. Und liest sich nicht nur informativ, sondern auch spannend.

Braun entwickelt die Entstehung der Horror-Comics aus den gesellschaftlichen Prozessen der jeweiligen Zeit. Die Verbote durch Politik und Gerichte erfolgten mit der Begründung, Gewaltdarstellungen würden die Leser selbst zu Gewalt anregen. Man kennt das in Bezug auf Filme, Computerspiele und neuerdings auch in Bezug auf Postings im Internet. Ernsthafte Untersuchungen, die diese These belegen, so Braun, gibt es allerdings nicht. Die Darstellung von Grausamkeiten jeder Art ist ohnehin bereits lange vor den Comics Teil des europäischen Kulturguts geworden – man denke an den Werwolf von Lucas Cranach d. Ä. (1512), Goyas Desastres de la guerra (1810) oder Rembrandts Anatomie des Dr. Tulp (1632). Braun analysiert dabei nicht nur die Malerei, sondern auch Romane und Filme, die das Genre geprägt haben (Die Nacht der lebenden Toten, etc.) und beschreibt so Kultur, die sich gegenseitig beeinflusst.

Wer also mehr über Horror-Comics, über ihre Entstehung, die Zeichner, die Verlage und das gesellschaftspolitische und ökonomische Umfeld wissen möchte, in dem und aus dem heraus sie entstanden sind, bekommt hier ein Werk geliefert, das in Umfang und Tiefe mit nichts vergleichbar ist. Das Album ist Begleitband der gleichnamigen Ausstellung im Dortmunder schauraum, die dort noch bis zum 14. August zu sehen ist.

Top 10 2021  Alexander Braun: Horror im Comic
456 Seiten, gebunden, 49,- Euro, avant, 978-3-96445-067-8
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