Mit leeren Augen

Eine wilde Mischung aus Fantasy und Horror: 1916, irgendwo an der Ostfront zwischen Polen und Russland. Hinter den Toren eines Waisenhauses verbirgt sich unfassbares Grauen: Zwischen den Trümmerteilen des zerstörten Gebäudes und den verrottenden Leichen seiner ehemaligen Bewohner haben drei Kinder überlebt. Inmitten des unmenschlichen Krieges mussten sie dafür zu Monstern werden… Eine der Waisen erträgt diese Art zu leben jedoch nicht länger und findet neue Freunde in den wunderschönen Porzellanpuppen, die in einem der vielen Räume des Waisenhauses auf hohen Regalen sitzen. Ihre ewig starr lächelnden Münder versprechen ihm Hilfe, wenn er ihnen ihren sehnlichsten Wunsch erfüllt… Ein intensiver Horrorcomic, dessen unheimliche Atmosphäre durch den kindlich-unschuldig wirkenden Zeichenstil des Argentiniers Juan Manuel Tumburus bis ins Unerträgliche gesteigert wird. Wirklich nichts für schwache Nerven! (Verlagstext)

In der Tat: Diesen Comic sollte man nicht vor dem Mittagessen lesen. Oder, falls man über schwache Nerven, dafür aber über eine umso höhere Einbildungskraft verfügt, nicht abends vor dem Schlafengehen. Denn was Zeichner Juan Manuel Tumburús und Szenarist Diego Agrimbau hier auf die Seiten bringen, ist echt fieses Zeug. Ein Magenumdreher par excellence.

Mich hat die Atmosphäre des Albums an Ahonens Jaybird erinnert: großes Haus, leere Gänge, seltsame Zimmer, hilflose Kinder, grausige Erziehungsmethoden. Nur, dass Jaybird ohne die widerlichen Komponenten ausgekommen ist. Da entwickelte sich der Horror laaangsam – während es in Leere Augen schon ab Seite sieben zappenduster wird. Auch Fantasy-Elemente spielen dabei eine Rolle. Im wirklichen Leben werden Puppen nicht lebendig. Hier schon. Immerhin: Sie gehören zu den Guten. Während Maurice, das älteste der Kinder, dem puren Wahn verfallen ist. Eine Story, so ekelhaft wie originell. Da kann man nur sagen: Guten Appetit!

Juan Manuel Tumburús, Diego Agrimbau: Mit leeren Augen
Aus dem Französischen von Harald Sachse
80 Seiten, gebunden, 19,80 Euro, Splitter, ISBN 978-3-98721-041-9
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Little Monsters

Hier ist das Coverbild Programm, denn im Innenteil geht es nicht weniger düster zu: Sie sind die letzten Kinder der Erde… und Vampire. Seit sie denken können, führen sie ein freies, unbeschwertes Leben inmitten der Überreste der menschlichen Zivilisation. Die Unsterblichkeit verbringen sie damit, die Ruinen unserer Gesellschaft mit kindlicher Unschuld zu Bestaunen. Bis wie aus dem Nichts das Undenkbare geschieht: Ein Mensch taucht auf und weckt uralten Durst in den Herzen der Kinder… »Der Herr der Fliegen« mit Vampiren – in seiner neuen Comicreihe verleiht das Power-Duo bestehend aus Jeff Lemire und Dustin Nguyen (»Descender«, »Ascender«) dem Traum von ewiger Kindheit einen erschütternden Twist, wenn das Monster im Menschen zum Vorschein kommt. (Verlagstext)

Ich bin nicht so der riesige Science Fiction-Fan (Descender), und auch mit Magie (Ascender) habe ich nicht allzu viel am Hut. Trotzdem fand ich die beiden Serien einfach begnadet (und beide schafften es spielend in die Top-10 von Comickunst). Das lag nebenan dem Szenario von Lemire vor allem an der Bebilderung durch Dustin Nguyen. Ähnliches gilt für das viel strapazierte Horror- und Vampir-Genre, das in diesem Album Handlungsträger ist. Der Fließtext von Lemire ist teilweise überraschend schwach (manchmal fast peinlich), aber schon das Cover dieses Bandes ist wieder zum Niederknien geil.

Das sind die Zeichnungen im Innenteil auch – obwohl es auf den ersten Blick etwas enttäuschend wirkt, dass Nguyen sich hier für Schwarzweiß entschieden hat. Ja, schon klar – das passt zur Story. Und die roten Farbtupfer, mit denen er ihre Münder verschmiert, wenn sie sich wieder einmal satt getrunken haben, bilden auf diese Weise einen starken Kontrast. Und wo wir gerade bei blutverschmierten Mündern sind – ihr ahnt, worauf das hinausläuft: Auch Kinder können durstig sein. Und immer nur Ratten, das bringts ja auch nicht. Dieser Band hält jedenfalls grafisch alles, was man von Nguyen erwartet. Ob die Story auch inhaltlich Sinn macht, wird sich zeigen, wenn der abschließende zweite Band vorliegt.

Dustin Nguyen, Jeff Lemire: Little Monsters 1
Aus dem amerikanischen Englisch von Bernd Kronsbein
152 Seiten, gebunden, 25,- Euro, Splitter, ISBN 978-3-98721-076-1
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Die Gruftis

Vorsicht – hier wird es ziemlich gruselig: Die Eltern der Zwillinge Celine und Colin betreiben ein Bestattungsunternehmen und pflegen den Friedhof der Stadt. In der Schule macht das die beiden natürlich zu hervorragenden Zielscheiben für den Spott ihrer Mitschüler. Sogar bei ihren Lehrern sind sie unbeliebt, denn das quirlige Duo denkt sich am laufenden Band Unsinn aus. Das Leben auf einem Friedhof ist eben sterbenslangweilig, und da ihre Eltern immer schwer beschäftigt sind, müssen Celine und Colin selbst für Unterhaltung sorgen! Zumindest, bis der Steinmetz des Friedhofs sie auf ein merkwürdiges Symbol an einem der Grabsteine hinweist, das der Schlüssel zu einem großen Mysterium sein könnte… Ein abenteuerlicher Comic-Krimi für mutige Kinder und Erwachsene, der beweist, dass sich im Leben viele Türen öffnen, wenn man sich traut, gegen den Strom zu schwimmen und seiner Neugier nachzugehen. (Verlagstext)

Es ist eine spannende Geschichte, die Lea Mazé sich hier ausgedacht hat. Mit detektivischem Eifer gehen Celine und Colin Spuren nach, die immer stärker den Verdacht auf ein scheußliches Verbrechen aufkommen lassen. Wobei die beiden nicht bedenken, dass sie sich damit selbst in Gefahr begeben. Wenn sich Türen öffnen, muss man nämlich rausfinden, was sich in dem Raum befindet, der sich hinter ihnen verbirgt. Das ist nicht immer angenehm. Schon gar nicht auf einem Friedhof. Denn die Tür, die die Zwillinge hier illegal aufbrechen – ist der Eingang zu einer Totengruft. Und in der Gruft…

Konzeptionell ist es eine Abenteuergeschichte für Kinder und Jugendliche. Als Erwachsener rätselt man zwar, fiebert aber nicht mit. Weshalb Splitter es unter dem toonfish-Label veröffentlicht hat. Allerdings geht die Qualität der Zeichnungen weit über Kindercomic-Niveau hinaus. Wer also miträtseln will – die Zeichnungen können sich sehen lassen.

Lea Mazé: Die Gruftis
Aus dem Französischen von Tanja Krämling
240 Seiten, gebunden, 39,95 Euro, toonfish, ISBN 978-3-96792-745-0
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