Monsieur Mardi-Gras – Unter Knochen (GA)

Kafka im Totenreich – so ungefähr könnte man die Story dieses Albums zusammenfassen: Ein fataler Sturz beim Tritt auf das im Badezimmer vergessene Spielzeugauto seines Sohnes, und Victor Tourterelle findet sich kurzerhand auf der anderen Seite des Spiegels, in einer Kreidewüste unter einem Himmel so schwarz wie Tinte wieder. Es herrscht Totenstille, keine Seele lässt sich blicken. Zwar erfreut sich Victor in seiner neuen Gestalt noch seines vollen Bewusstseins, doch von seinem Körper sind allein die Knochen geblieben. Mardi Gras Aschermittwoch, so lautet sein Name von nun an, hat keine Ahnung, dass er am Beginn eines der verrücktesten Abenteuer steht, das einem Verstorbenen in der jenseitigen Welt jemals widerfahren ist… Beinhaltet alle vier Bände der Serie sowie umfangreiches Bonusmaterial. (Verlagstext)

Éric Liberge, der auch Delalandes spannenden Comic über Enigma-Knacker Alan Turing bebildert hat, entwirft hier ein Totenreich, wie man es bisher weder erdacht, noch gesehen hat. Alles wird komplett bürokratisch verwaltet, aber welchen Sinn das alles machen soll, und ob man da bleibt, oder später anderswohin kommt, auf diese Fragen bekommt Mardi-Gras, der in dieser Ansammlung lebender Skelette verzweifelt nach Orientierung sucht, keine Antwort.

Neben der Administration gibt es Seelenbestatter, Rebellen und andere Gruppen, die Mardi-Gras für ihre Interessen einspannen wollen. In der Kneipe trinkt man Quecksilber und ähnliche Leckereien. Es gibt Verfolgung, Kämpfe und Intrigen, und in dem szenischen Mix aus Metaphysik, Alchemie und misslungenen klerikalen Experimenten kann man – auch nach mehrmaligem Lesen – leicht den Überblick verlieren.

Was diese Reihe aber vor allem prägt, sind ihre Zeichnungen. Da eine Welt voller Skelette vor einem ewig düsteren Himmel optisch wenig Abwechslung bietet und zudem die grafischen Möglichkeiten einschränkt, hat Liberge nach den ersten zwei Bänden, die in Schwarzweiß gehalten waren, mehr Farbabstufungen integriert. Sie hellen die durchgehende Düsternis nicht auf, bringen aber mehr optische Tiefe in die Bilder und machen abwechslungsreichere Seitenkompositionen möglich.

Man muss diese Bilder mögen, um die Serie genießen zu können. Meine Sache ist das nicht. Die Story wirkt ziemlich konstuiert, und die – ja, ich weiß, das muss so sein, von wegen authentischer Atmosphäre und so – modriggrüne Kolorierung ermüdet die Augen. Wer allerdings auf dieses Artwork steht (und Liberge hat zeichnerisch einiges zu bieten), der findet hier eine Reihe, die mit keiner anderen vergleichbar ist. An schrägen Ideen mangelt es nicht. 1999 in Ângouleme mit dem Prix René Goscinny ausgezeichnet, und von Splitter in einer hochwertigen HC-Ausgabe mit zehn Bonusseiten produziert.

Éric Liberge: Monsieur Mardi-Gras – Unter Knochen (Gesamtausgabe)
Übersetzung von Thomas Strauss und Tanja Krämling
272 Seiten, gebunden, 49,80 Euro, Splitter, ISBN 978-3-96792-248-6
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