Die Sputnik-Jahre

Ich bin ein großer Fan von Baru (alias Hervé Barulea). Sein allerorten über den grünen Klee gelobtes L’Autoroute du Soleil finde ich zwar reichlich überbewertet, aber Alben wie Wut im Bauch oder Elende Helden sind einfach genial. Der 1947 in Lothringen geborene und vor zwei Jahren mit dem „Grand Prix de la Ville d’Angoulême“ ausgezeichnete Sohn einer Bretonin und eines italienischen Einwanderers erzählt in seinen Comics Geschichten, die das Lebens schrieb – oder so geschrieben haben könnte. Der soziale Hintergrund seiner Stories ist immer authentisch. Seine Figuren haben meist nichts zu verlieren, weil sie aus einer gesellschaftlichen Schicht kommen, in der es nichts zu gewinnen gibt. Sein Strich ist dynamisch, streckenweise sogar aggressiv. Mimik und Bewegung sind fast karikativ angelegt.

In den Sputnik-Jahren erzählt er vom Leben einer Jugendgang aus den 1950er Jahren, die in einem lothringischen Industriestädtchen aufwächst. Sie sind im Schnitt 13 Jahre alt und haben noch nicht viel zu sagen, denn die Älteren geben den Ton an. Hauptfigur ist Igor, der im oberen Teil der Stadt wohnt, und mit seiner Clique regelmäßig Zoff mit den Kids aus dem unteren Teil der Stadt hat. Differenzen werden mit Wettkämpfen ausgetragen, bei denen es nicht immer fair zugeht. Allen gemeinsam ist der ständige Ärger mit Eltern, Lehrern (damals gab es noch Prügelstrafe) und den Kids des Nachbarortes. Es ist das Alter, in dem man lernen muss, sich durchzusetzen – gerade in einem Arbeiterstädtchen. Als die Sowjets dann mit dem Sputnik den ersten Satelliten in die Umlaufbahn jagen, setzen Igor und seine Freunde sich zum Ziel, auch eine Rakete zum Mond zu schicken. Vorbild ist die Rakete von Professor Bienlein aus Tim und Struppi. Das Problem ist nur das Schießpulver, das sie vorher erst im Bergwerk klauen müssen.

Baru produziert hier eine rundum authentische Atmosphäre. Wer die 1950er Jahre erlebt hat, hat das Gefühl, er stünde wieder mittendrin. Die Reihe ist ursprünglich 2002 in vier Bänden bei Carlsen erschienen. Reprodukt hat sie als Gesamtausgabe neu aufgelegt. Die Übersetzung von Martin Budde wurde übernommen. Das Format ist etwas kleiner (25,5 x 15 cm) als bei Carlsen, dafür gibt es bei Reprodukt einen achtseitigen Anhang, in dem Igor erklärt, wie man Bogen und die dazu gehörigen Pfeile baut. Die Sputnik-Jahre gehören zu den stärksten Geschichten von Baru. Schön, dass sie wieder lieferbar sind.

Top 10

Baru: Die Sputnik-Jahre
208 Seiten, 29,- Euro, Reprodukt, ISBN 978-3-943143-10-2
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