Das große Los

Jeder hat mal einen schlechten Tag, an dem die Stimmung auf den Tiefpunkt sackt. Aber im Leben von François gibt es nur solche Tage. Er lebt allein in einer Stadt, in der es ohne Unterlass regnet, und arbeitet seit Jahren als Fahrer für eine Wäscherei – ohne jede Chance auf eine Gehaltserhöhung. Seine Abende verbringt er mit einem Bier in seinem Stammbistro oder mit einem Lottoschein, auf dem er seit 17 Jahren die immerselben Zahlen einträgt. Einsame Lichtblicke sind die kurzen Gespräche mit Maryvonne, der Kioskbesitzerin. Wenn François bloß etwas weniger schüchtern wäre, dann würde er… Ja, was eigentlich? (Verlagstext)

Nun, was das angeht, hat er durchaus Ideen. Er will ihr ein Appartement am Meer schenken. Mit Zentralheizung. Und einen großen Zeitungsladen auf dem Deich. Wovon? Auch das ist im Grunde klar – von 5,8,24,12,10,52, seinen Glückszahlen, mit denen er seit Jahren Lotto spielt. Kann halt nur ein bisschen dauern, bis sie gezogen werden. Aber irgendwann bestimmt. Man braucht Geduld – hat er in der Zeitung gelesen.

Bis dahin schippert er mit einem alten Bus als Wäschelieferant durch den Regen. Neuerdings auch noch mit einem begriffsstutzigen Neuling, den er anlernen soll. Die Stupidität dieses inhaltslosen Lebens bringt Joris Mertens wunderbar auf den Punkt. Die Story könnte von Bukowski sein.

Noch besser sind die Zeichnungen. Sein expressionistischer Kohlestrich und seine souveräne Beherrschung von Licht und Farben (Splitter) machen dieses Album zu einem optischen Genuss von der ersten bis zur letzten Seite. Vor allem seine großformatigen, oft ganz- oder doppelseitigen Stadtansichten sind einfach klasse. Wie er die Neonlichter der City im regennassen Asphalt spiegeln lässt. Wow! Naja – und dann der Plot. Die letzten zwei Seiten sind zwar überflüssiger Kitsch, aber alles andere ist im wahrsten Sinne des Wortes großes Kino. Mertens ist tatsächlich eine der großen Neuentdeckungen des frankobelgischen Comics (Splitter).

Top 10 2016

Joris Mertens: Das große Los
Aus dem Niederländischen von Axel Rothkamm
144 SW-Seiten, gebunden, 35,- Euro, Splitter, ISBN 978-3-98721-142-3
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