Little Monsters

Hier ist das Coverbild Programm, denn im Innenteil geht es nicht weniger düster zu: Sie sind die letzten Kinder der Erde… und Vampire. Seit sie denken können, führen sie ein freies, unbeschwertes Leben inmitten der Überreste der menschlichen Zivilisation. Die Unsterblichkeit verbringen sie damit, die Ruinen unserer Gesellschaft mit kindlicher Unschuld zu Bestaunen. Bis wie aus dem Nichts das Undenkbare geschieht: Ein Mensch taucht auf und weckt uralten Durst in den Herzen der Kinder… »Der Herr der Fliegen« mit Vampiren – in seiner neuen Comicreihe verleiht das Power-Duo bestehend aus Jeff Lemire und Dustin Nguyen (»Descender«, »Ascender«) dem Traum von ewiger Kindheit einen erschütternden Twist, wenn das Monster im Menschen zum Vorschein kommt. (Verlagstext)

Ich bin nicht so der riesige Science Fiction-Fan (Descender), und auch mit Magie (Ascender) habe ich nicht allzu viel am Hut. Trotzdem fand ich die beiden Serien einfach begnadet (und beide schafften es spielend in die Top-10 von Comickunst). Das lag nebenan dem Szenario von Lemire vor allem an der Bebilderung durch Dustin Nguyen. Ähnliches gilt für das viel strapazierte Horror- und Vampir-Genre, das in diesem Album Handlungsträger ist. Der Fließtext von Lemire ist teilweise überraschend schwach (manchmal fast peinlich), aber schon das Cover dieses Bandes ist wieder zum Niederknien geil.

Das sind die Zeichnungen im Innenteil auch – obwohl es auf den ersten Blick etwas enttäuschend wirkt, dass Nguyen sich hier für Schwarzweiß entschieden hat. Ja, schon klar – das passt zur Story. Und die roten Farbtupfer, mit denen er ihre Münder verschmiert, wenn sie sich wieder einmal satt getrunken haben, bilden auf diese Weise einen starken Kontrast. Und wo wir gerade bei blutverschmierten Mündern sind – ihr ahnt, worauf das hinausläuft: Auch Kinder können durstig sein. Und immer nur Ratten, das bringts ja auch nicht. Dieser Band hält jedenfalls grafisch alles, was man von Nguyen erwartet. Ob die Story auch inhaltlich Sinn macht, wird sich zeigen, wenn der abschließende zweite Band vorliegt.

Dustin Nguyen, Jeff Lemire: Little Monsters 1
Aus dem amerikanischen Englisch von Bernd Kronsbein
152 Seiten, gebunden, 25,- Euro, Splitter, ISBN 978-3-98721-076-1
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Carbon & Silizium

Die melancholische Freundschaft zweier KIs in einer (w)irren Welt: Carbon und Silizium sind revolutionäre KIs, Meisterwerke der High-Tech-Labors der Tomorrow Foundation. Als Prototypen einer völlig neuen Generation von Androiden werden sie mit dem gesamten Wissen der Menschheit gefüttert und stellen einen gigantischen Sprung in der Entwicklung künstlichen Bewusstseins dar. Indem sie experimentieren, beobachten, lernen, sich weiterentwickeln und so vielleicht echte Intelligenz erlangen, sollen sie die Probleme der dahinsiechenden Menschheit lösen. Mathieu Bablet wurde durch sein Monumentalwerk »Shangri-La« über Nacht zum Star des Science-Fiction-Comics. In seinem neuen Werk »Carbon & Silizium« betrachtet er die großen ökologischen, sozialen, politischen und ökonomischen Fragen unserer Zeit durch die Augen zweier Beobachter, die hochintelligent, aber zugleich kindlich naiv sind. Eine Graphic Novel mit einem unwiderstehlichen Sinn für Ästhetik und mit einem intensiven Interesse für das, was das Menschsein ausmacht. (Verlagstext)

Naja – die großen ökologischen, sozialen, politischen und ökonomischen Fragen unserer Zeit werden zwar gestreift, aber Tiefgang darf man nicht erwarten. Es ist mehr das selbstgemachte Elend der Menschheit, das da als Dauerschleife im Hintergrund vorüberzieht – dem wahrscheinlichen Untergang entgegen. Während der unwiderstehliche Sinn für Ästhetik und mit einem intensiven Interesse für das, was das Menschsein ausmacht, eine sehr treffende Beschreibung – und gleichzeitig die Stärke – dieses Albums ist.

Mit Bablets Shangri-La konnte ich – nicht zuletzt aufgrund der engen Zeichnungen – wenig anfangen. Hier ist es anders. Bablet lässt Landschaft und Figuren mehr Raum. Die Bilder machen mehr her. Und während Corbon mehr der sesshafte Typ ist, der auch immer wieder den Kontakt zu ihrer Schöpferin sucht (und oft verfolgt wird, denn die beiden sollen von der Tomorrow Foundation liquidiert werden), zieht Silizium lieber durch die Gegend und erkundet die Welt. Sie sind verschieden, aber aufeinander angewiesen. Sie gehen verschiedene Wege, um sich immer wieder neu zu finden.

Und wenn Carbon schließlich Silizium, nach einer wieder einmal langen Trennung, auf einem Felshügel wiederfindet, von dem aus er in das weite Tal herunterblickt, fragt, wie lange er schon da sitzt und als Antwort Siebzehn Jahre bekommt, dann fühlt man die Verlorenheit dieser beiden in einer Welt, in der sie den Menschen fremd, und die Menschen sich selbst ebenfalls fremd geworden sind. Das hat was.

Mathieu Bablet: Carbon & Silizium
Aus dem Französischen von Sophie Beese
272 Seiten, gebunden, 45,- Euro, Splitter, ISBN 978-3-96792-395-7
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Was wir sind

Eine Art philosophisches Science Fiction-Album: Perfekte Menschen leben in einer perfekten Welt in Saus und Braus und mit Chips für alles Mögliche im eigenen Kopf und Körper – zumindest die Menschen, die „drin“ sind, wie Konstantin. Bis er plötzlich „draußen“ ist. Jetzt muss er alles neu lernen. Dass man eine Giftschlange nicht streichelt oder was eine natürliche Frau ist – und wozu sein Dasein überhaupt gut ist… (Verlagstext)

Das ist schon praktisch: Im Alter von fünf Jahren bekam Konstantin sein erstes Sprachpaket. In drei Minuten hatte es sein Gehirnassistent geladen. Danach sprach er zwölf Sprachen fließend. Zum achten Geburtstag bekam er die Enzyklopädie – in gerade mal 17 Sekunden hatte er das komplette Wissen der Menschheit intus. Er weiß damit, ohne etwas lernen zu müssen, alles. Von ein paar gelegentlichen Updates abgesehen.

Aber was ist das wirklich? In der Regel lernen wir durch Erfahrungen. Die werden als reale physische Prozesse in unserem Gehirn gespeichert sind dort jederzeit abrufbar. Konstantins Gehirn ist dagegen eher leer, weil eigene Erfahrungen fehlen. Sein Wissen liegt in einem Zentralcomputer. Damit ist er abhängig von der Technik. Im Prinzip hat er nichts Eigenes. Und wenn die Technik mal ausfällt oder gehackt wird…

Zep, der schon in seinen Alben Der ferne schöne Klang und The End der Frage nachging, was das Menschsein ausmacht, konfrontiert seine Hauptperson auch hier wieder mit Situationen, in denen sie mit ihrem bisherigen Wissen nicht weiterkommt. Und sich der Frage stellen muss, worauf es im Grunde wirklich ankommt. Wie immer in klaren Bildern mit (seitenweise wechselnder) monochromer Kolorierung gezeichnet.

Zep: Was wir sind
Aus dem Französischen von Karolina Heidinger
88 Seiten, gebunden, 24,80 Euro, schreiber&leser, ISBN 978-3-96582-114-9
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