Wir gehören dem Land

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Das ist mal eine andere Sicht der Dinge: Nicht Uns gehört das Land, sondern Wir gehören ihm – so sehen es jedenfalls die Dene. Die Dene, die indigene Bevölkerung Kanadas leben schon seit ewigen Zeiten im Mackenzie River Valley. Sie gehören dem Land, nicht umgekehrt. Aber ihre Lebensweise wird durch den Abbau von Öl, Gas und Diamanten bedroht. Auf einer Reise in den hohen Norden Kanadas trifft Joe Sacco die einheimischen Dene. Heute droht das Volk zwischen dem Zwang zu wirtschaftlichem Fortschritt und dem Wunsch, zu einem traditionellen, naturnahen Leben zurückzukehren, aufgerieben zu werden. Joe Sacco berichtet über die Ausbeutung der Bodenschätze, die Träume der jüngeren Generation und ein Schulsystem, das den Kindern erst ihre Eltern und dann ihre Jugend geraubt hat, um sie sesshaft zu machen und zur Integration in die Kultur der Weißen zu zwingen. (Verlagstext)

Und das tut er wie schon in seinen Alben Palästina, Bosnien, Sarajevo und anderen Comic-Reportagen sehr gründlich und ausführlich. Im Grunde ist es die übliche Geschichte: Menschen leben in friedlichen Gemeinschaften, bis das, was sich Zivilisation nennt, in der Gegend Rohstoffe entdeckt. Das Gerangel um Land und Einfluss beginnt. Die Regierung setzt bei der Zerstörung der indigenen Gruppen zuerst auf die Entfremdung der Kinder von ihren Familien. Kanadas damaliger Premierminister Jon Macdonald: Das Kind stammt vom Wilden ab, und auch wenn es lesen und schreiben lernt, so bleibt es in seinem Innersten doch ein Indianer. Eben ein Wilder, der lesen und schreiben kann. Indianerkinder sollten so weit wie möglich dem elterlichen Einfluss entzogen werden, doch das geht nur, wenn man sie in zentrale Schulen steckt, in denen sie die Sitten und Denkart der Weißen erlernen.

Mit dieser Art Gehirnwäsche werden kulturelle Traditionen gebrochen, geht durch Generationen erlerntes Wissen verloren und die Identität der Menschen den Bach runter. Irgendwann weiß man nicht mehr, ob man Dene oder Kanadier oder gar nichts mehr ist. Sie brachten uns dazu, uns selbst zu negieren, zitiert Sacco einen Dene, der jahrelange Gehirnwäsche in einem katholischen Internat erdulden musste. Die Folgen sind immer und überall die gleichen: Verlust der Identität, Orientierungslosigkeit und am Ende oft Alkoholismus, denn wenn den Menschen auch nichts mehr gelassen wird, wenn die Rohstoffe abgebaut, das Wild vertrieben und der Boden vergiftet ist: Alkohol gibt es immer. Die kanadische Regierung gab 2015 zu, sich damals eines kulturellen Völkermords schuldig gemacht zu haben.

Dabei ist Sacco zwar parteiisch, aber nicht betriebsblind. Er sieht und schildert auch die Probleme innerhalb der indigenen Communities. Das schöne natürliche Leben in der Natur ist nicht immer schön und romantisch. Es ist auch sehr hart – bei bis zu 40 Grad Minus in den Wäldern des Nordens. Auch sexueller Missbrauch – etwas, was in den katholischen Internaten begonnen und später von den Missbrauchten in ihren Familien weitergeführt wurde – machte sich später in den Communities breit. Ursprünglich wollte Sacco einen Comic über die Auswirkungen von Klimawandel und globaler Erwärmung am Beispiel der Dene machen. Am Ende ist es ein Album geworden, das exemplarisch für die Vorgehensweise imperialer Mächte gegen Naturvölker steht, ohne dabei das Leben der Dene zu idealisieren.

Top 10 2020  Joe Sacco: Wir gehören dem Land
256 SW-Seiten, 25,- Euro, Edition Moderne, ISBN 978-3-03731-198-1
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