
Verlagstext: Séverine studiert Literaturwissenschaft in Paris und wohnt zusammen mit ihrem Freund Thomas, der mehr Zeit mit Computerspielen und TV-Serien verbringt als mit ihr. Sie hat sich offenbar eingerichtet in einem monotonen Leben, das sie eher erduldet denn gestaltet. Bis eine geliehene Seidenbluse ihr Leben verändert: Plötzlich wird sie von aller Welt mit anderen Augen wahrgenommen, Männer sehen sie voller Verlangen an, und sie lässt sich bereitwillig auf Abenteuer ein. Es ist, als würde die Bluse ihr magische Kräfte verleihen und sie aus einem langen Schlaf wecken. Séverine taucht ein in ein Leben, das vor allem einem folgt: dem Lustprinzip. Mit der Anmut und Sinnlichkeit, die er bereits in „Eine Schwester“ bewiesen hat, zeichnet Bastien Vivès die Geschichte einer Selbstfindung und zeigt abermals, dass er ein großer Erzähler ist.
Großer Erzähler? Anmut und Sinnlichkeit? Hier leider nicht. Das Album ist, wie immer bei Vivès, prima gezeichnet, aber erzählerisch hat es wenig zu bieten. Während er in Eine Schwester eine filigran gewobene Geschichte auf die Seiten gebracht hat, wirkt Die Bluse ziemlich zusammengeschustert. Die sensiblen Übergänge und Feinheiten, die die Geschichte in Eine Schwester so nachfühlbar gemacht haben, fehlen völlig.
Es ist verständlich, dass eine Frau, die nie beachtet wurde und sich in einer Art Schattendasein eingerichtet hat, probieren möchte, was geht, wenn ihr plötzlich von überall her Aufmerksamkeit geschenkt wird. Aber dass sie sich dann wahllos fremden Männern an den Hals wirft, um mit ihnen in die Kiste zu steigen, kommt eher selten vor. Es fehlen die Zwischentöne und die kleinen, feinen Entwicklungsschritte, für die die Geschichten von Vivès eigentlich bekannt sind. So bleiben nur stylische Bilder in kruder Story. Schade drum. Das kann er besser.
Bastien Vivès: Die Bluse
208 SW-Seiten, gebunden 24,- Euro, Reprodukt, ISBN 978-3-95640-185-5
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